Alle, die etwas über Chemie lernen, bekommen irgendwelche Reaktionsformeln vorgesetzt, wo etliche Reaktionspartner miteinander reagieren und irgendwelche dabei Reaktionsprodukte aus den Ausgangsprodukten entstehen. Das passiert einfach so. Man kann Reaktionsgeschwindigkeiten ermitteln. Das bezieht sich nicht auf die einzelne Reaktion auf Molekülebene, die man als einen Schritt ansieht, der praktisch keine Zeit in Anspruch nimmt, sondern auf die Zeit, die es dauert, bis die (fast) gesamte Substanz oder ein bestimmter Prozentsatz umgesetzt worden ist.
Nun muss man sich aber die Reaktion von einzelnen Molekülen eher wie ein Fussballspiel vorstellen. Wir sehen nur das Endergebnis. Das Spiel findet in Femtosekunden und Picosekunden statt und ist selbst mit guten „konventionellen“ Messgeräten nicht einfach so sichtbar. Nun gibt es heute z.B. beim CERN Messgeräte, die sogar Elementarteilchen, also die Bausteine der Atome, erkennen können. Allein unser „Sehen“ basiert ja auf farbigem Licht und die Wellenlängen sind im Bereich von bis , während Moleküle typischerweise eine Größe von etwa haben. Die Farben kommen dadurch zustanden, dass Energieniveaus der Bindungsorbitale gerade die Energie von einzelnen Lichtquanten einer bestimmten Farbe durch einen Übergang absorbieren können. Einzelne Wellenbewegungen des sichtbaren Lichts dauern im Bereich von wenigen Femtosekunden. Nun dauern Schwingungen von Molekülen, Atomen und Bindungen auch im Bereich von Femtosekunden und das scheint so etwa die zeitliche Auflösung zu sein, mit der man interessante Beobachtungen machen kann. Sozusagen das Fußballspiel, das zu dem beobachtbaren Ergebnis führt. Nicht nur auf physikalischer Ebene müssen Geräte, die in dem Bereich etwas messen können, sehr anspruchsvoll sein, einige Dektetoren im CERN sind so groß wie ein Haus und beobachten sozusagen die kleinsten Teile, die es überhaupt gibt. Auch die Informatik ist eine Herausforderung, weil man innerhalb von sehr kurzer Zeit riesige Massen an Messdaten erhält und erstmal überhaupt vorsortieren und den interessanten Teil abspeichern muss. Dann muss man einiges rechnen, was mit einer Java-Enterprise-Applikation vielleicht eine Million Jahre dauern würde, also mit um einige Größenordnungen effizienteren Methoden arbeiten als die übliche Business-Informatik. Ja, das ist möglich und wird gemacht. Messen ist in diesem Bereich schwierig, weil Messungen die Realität verändern. Das klingt komisch, aber wir kennen das Prinzip ja auch aus der menschlichen Interaktion. Um etwas herauszufinden, können wir unsere Mitmenschen fragen. Die Frage transportiert aber schon Information und Emotionen und verändert auf diese Art gewissermaßen die Realität….
Wie dem auch sei, eine chemische Reaktion wie
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also die Gewinnung von Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff, findet nicht einfach so ein einem Schritt statt. Die Zwischenschritte sind aber viel weniger bekannt, weil die Zwischenzustände sehr kurzlebig sind. Heute hat man aber Möglichkeiten oder zumindest Ansätze, um diese Dinge zu erforschen und nennt dieses Gebiet Femtochemie.
Man muss sich vorstellen, dass man einen fast leeren Raum hat, in dem sich winzige Gasmoleküle, also , und mit hohem Tempo bewegen. Diese Moleküle sind nicht Kugeln, sondern sie bestehen aus Atomen und deren Bindungen, haben also eine innere Struktur und Freiheitsgrade, um sich zu bewegen und zu schwingen. Weil es so viele Moleküle gibt und diese sich so schnell bewegen, kommt es trotz deren geringer Größe häufig zu Kollisionen. Diese können rein physikalisch wie bei elastischen Gegenständen ablaufen, aber auch zu chemischen Reaktionen führen. Für die Begegnung von zwei Molekülen gibt es schon sehr viele Möglichkeiten: Treffen sie zentral aufeinander oder streifen sie sich? Wie sind die Moleküle in dem Moment gedreht? Welche Schwingungen und welche Drehbewegungen führen sie in dem Moment aus? In welchen Energiezuständen befinden sich die Bindungen und die Elektronenschalen? Wie große ist die Differenzgeschwindigkeit? Zusammengefasst aus den vorigen Aspekten: welche Energie bringen die Moleküle in die Kollision ein? Diese Energie kann ausreichen, um Bindungen aufzubrechen und damit eine Kette von vielen Zwischenschritten zu eröffnen.
Dass sich zwei Moleküle begegnen, findet relativ häufig statt. Dass sich drei am selben Ort zur selben Zeit begegnen, ist schon ein selteneres Ereignis, es mag aber noch gelegentlich vorkommen und eine begrenzte Relevanz für die Chemie haben. Begegnungen von mehr als drei Molekülen sind aber sicher zu unwahrscheinlich, um für die Chemie eine Rolle zu spielen. Die obige Ammoniak-Reaktion ist also sicher ein Gesamtergebnis eines Prozesses mit mehreren Zwischenschritten, also quasi das Spielergebnis, ohne dass man das Spiel gesehen hat.
Diese Reaktion ist interessant, weil sie so schwierig zu bewerkstelligen ist und so eine große Bedeutung für die Menschheit hat.
Es gibt viel kompliziertere Reaktionen und heutige High-Chem-Produkte bestehen aus komplizierten Molekülen, entsprechend komplex sind die wirklichen Reaktionsabläufe und die Zwischenschritte.
Wenn man übrigens statt Stickstoff Luft verwendet, wird der Wasserstoff fast ausschließlich mit dem Sauerstoff reagieren, auch wenn es viel weniger Sauerstoff als Stickstoff gibt.