Ein paar Gedanken zum Wahlsystem für den deutschen Bundestag…
Die Idee ist, dass mit „Erststimmen“ die Hälfte der Abgeordneten gewählt werden, in jedem „Wahlkreis“ einer. Als Vertreter des Wahlkreises in der Hauptstadt. Dann wird mit den „Zweitstimmen“ die Zusammensetzung bestimmt. Das ging zu einer Zeit auf, als es zwei große und ansonsten nur kleinere Parteien gab, weil die beiden großen das unter sich ausmachten und normalerweise noch was zum Auffüllen übrig war. Selten brauchte man Tricks wie „Überhangs- und Ausgleichsmandate“, wenn mit den Erststimmen schon mehr Abgeordnete gewählt wurden.
Heute sind die eine Großpartei und die andere Großpartei mit (einem andernamigen Anhängsel in einem der 16 Bundesländer) eher so bei 10 bis 20%, vielleicht 25% angesiedelt. Und es ist eine dritte „Großpartei“ dazugekommen. Vielleicht diesmal etwas mehr, weil die Kanzlerkandidaten sich um die Wette blamieren und dann eine 10%-Partei mit dem am wenigsten blamablen Kandidaten doch nochmal 20% bekommt. Das heißt, dass diese Rechnung mit dem Auffüllen immer weniger aufgeht, wenn die Direktmandate zu einem großen Teil an die im jeweiligen Bundesland stärkste 20%-Partei fallen. Etwas anderes, was nie aufging: Prominente Parteivertreter haben sich immer auch parallel zu ihren Exekutiv-Jobs um Parlamentsmandate bemüht. Oder sie waren tatsächlich im Parlament in einer prominenten Rolle (Fraktionsvorsitz, Landesgruppe, Bundestagspräsidium, wichtige Ausschüsse etc.). Und weil es passieren kann, dass die „Landesliste“ mit den Zweitstimmen nicht so gut abschneidet und nur direkt gewählte Kandidaten im Parlament landen, mussten sie sich „zwangsläufig“ um ein Direktmandat bemühen. Dazu zwei Fragen: Warum dürfen Exekutivmitglieder in Personalunion auch Parlamentsmandate haben? Wäre es nicht besser, das zu trennen? Wie gut wird die Idee, sich um den Wahlkreis zu kümmern, verwirklicht, wenn die Person überwiegend in einer „übergreifenden“ Rolle aktiv ist?
Es stellt sich auch die Frage, wie sinnvoll die Direktmandate überhaupt sind, wenn sie im Verhältniswahlrecht bestimmt werden und weit unter 50% der Stimmen bekommen. Bräuchte man dafür nicht Stichwahlen? Als es zwei dominierende Parteien gab, hat jemand einen Wahlkreis vielleicht mit 48% gewonnen, was ziemlich ok ist, aber nicht mit 24%. Also die Frage: braucht man diese Direktmandate überhaupt? Wenn ja, müsste man sie nicht mit einem zweiten Wahlgang mit Stichwahlen bestimmen, wenn jemand bei der ersten Runde unter 50% ist? Und müsste man den Anteil der Direktmandate am Gesamtbundestag nicht erheblich reduzieren, auf 10..20% der Mandate statt auf die Hälfte? Dann ginge es zumindest wieder auf. Und die Wahlkreise wären etwas größer.
Die berühmte 5% Hürde, die man angeblich unbedingt braucht, damit nicht sowas wie 1933 nochmal passiert. Dabei wird vergessen, dass das Problem 1933 nicht war, das eine bestimmte menschenverachtende Partei 4.3% der Stimmen bekommen hat, sondern 43%. Aber gut, man will die Zeiten der Instabilität davor mit häufig wechselnden Koalitionen, die Wegbereiter dafür war, betrachten. Eine Zeit, in der es wie im heutigen und vermutlich im zukünftigen Bundestag eine Menge Parteien gab, die so zwischen 5% und 30% der Stimmen hatten. Aber gut… Man möchte eine gewisse Hürde für Kleinparteien aufstellen. Nun stellt sich das so dar:
Sagen wir für ein vereinfachtes Modell, es wurden eine Million gültige Stimmen abgegeben und es gibt 100 Abgeordnete Eine Partei hat 49’999 Stimmen bekommen. Normalerweise bringt also eine Stimme mehr oder weniger so ungefähr 1/10’000 Abgeordneten. In diesem Fall würde aber eine Stimme mehr gleich (etwa) 5 zusätzliche Abgeordnete bringen. Das heißte, die ersten 49’999 Stimmen zählen gar nicht, die 50’000ste Stimme zählt 50’000 fach und alle weiteren zählen einfach. Das ist einfach schräg. Wenn man unbedingt so ein System haben will, das Kleinparteien bremst, warum nicht so etwas: Die ersten 2.5% Stimmen zählen gar nicht. Die nächsten 2.5% zählen doppelt. Und oberhalb von 5% zählen die Stimmen einfach. Das würde es etwas glätten und diese Zufälligkeit von der einen Stimme rausnehmen bzw. Stimmen nicht so krass verschieden bewerten. Witzig wäre es übrigens, wenn mehr als 20 Parteien antreten und keine einzige davon über 5% kommt.
Es ist mathematisch beweisbar, dass ein perfekt gerechtes Wahlsystem, das nur ein paar wenige, sehr offensichtlich sinnvolle Bedingungen erfüllt, nicht möglich ist. Aber man kann es zumindest ein Stück weit treiben. Und ein bisschen Mathematik in die Konzeption des Wahlsystems stecken, anstatt dass man es ausschließlich Juristen überlässt, das zu basteln.