Auf Straßen ist es wichtig, dass man sich auf Rechtsverkehr oder Linksverkehr einigt und Linksverkehr hat sich in Europa durchgesetzt, außer auf dem Festland, wo es Rechtsverkehr ist.
Wie ist es nun bei der Bahn? Wer mit offenen Augen im Zug unterwegs ist, wird feststellen, dass in Europa auf zweigleisigen Bahnstrecken Linksverkehr etwas häufiger als Rechtsverkehr der Normalfall ist, auch außerhalb von Großbritannien. In der Schweiz, Frankreich, Italien, Schweden und einem Teil von Spanien fährt die Bahn bei zweigleisigen Strecken eher auf dem linken Gleis. Witzig ist in Frankreich, dass im Elsass eher rechts gefahren wird und es an der ehemaligen Grenze von 1914 an der alten Strecke von Straßburg nach Paris eine Brücke gibt, wo die beiden Gleise sich kreuzen, um den Wechsel von Links zu Rechtsverkehr kreuzungsfrei zu bewerkstelligen.
Im Gegensatz zum Straßenverkehr hat man aber Signalsysteme, die die Gleisabschnitte absichern und sicherstellen, dass dort jeweils nur ein Zug unterwegs ist. Außerdem können Züge nicht vom Gleis abkommen, sondern nur bei Weichen auf das Nachbargleis wechseln. Und die Weichensteuerung erfolgt in aller Regel durch Stellwerke am Boden, nicht durch den Lokführer. Während Straßen sehr oft genau zwei Spuren haben (für jede Richtung eine) sind Bahnstrecken oft eingleisig. Man kann den Betrieb so planen, dass die Züge sich jeweils auf zweigleisigen Abschnitten oder Ausweichstellen begegnen. Wenn die zweigleisigen Abschnitte an der richtigen Stelle liegen und lang genug sind, ist das keine Beeinträchtigung, solange das Verkehrsaufkommen nicht zu groß ist und der Fahrplan gut eingehalten wird. Bei Verspätungen des Gegenzugs muss aber oft ein Zug am Ende des zweigleisigen Abschnitts warten, bis dieser durchgefahren ist.
Was bei eingleisigen Strecken geht, lässt sich auch bei zweigleisigen Strecken machen, man kann beide Gleise signalmäßig für beide Richtungen vorbereiten und die Strecke quasi wie zwei eingleisige Strecken betrieben, die zufällig genau nebeneinander liegen. Da die Richtungswechsel aber das jeweilige Gleis länger belegen als die Verwendung für lauter in dieselbe Richtung fahrende Züge, betreibt man die Strecken doch normalerweise über längere Zeit im „Linksverkehr“ oder „Rechtsverkehr“, aber das lässt sich grundsätzlich jeden Tag oder sogar zu jeder Zeit mit wenig Verkehr umtauschen. Der Vorteil ist, dass man auch zwei Züge gleichzeitig in eine Richtung fahren lassen kann, etwa einen langsamen und einen schnellen. Das nennt sich dann fliegende Überholung, im Gegensatz zum normalen Überholvorgang, bei dem der langsamere Zug in einem Bahnhof oder auf einem Ausweichgleis steht, während der schneller Zug durchfährt. Ein zweiter Vorteil ist ein flexiblerer Betrieb bei Störungen und Bauarbeiten auf einem Gleis mit einem eingeschränkten Betrieb weiterfahren kann.
Bei dreigleisigen Strecken gibt es nun noch mehr Kombinationen, aber letztlich ist der häufigste Fall, den ich gesehen habe, dass alle drei Gleise für beide Richtungen vorbereitet sind. Das ist auch sinnvoll, man stelle sich etwa den dreigleisigen Mittelabschnitt Buchholz – Rotenburg/Wümme der Bahnstrecke Hamburg – Bremen vor. Der Personenverkehr führt überwiegend von Hamburg nach Bremen und zu einem kleinen Teil von Hamburg über Rotenburg nach Minden. Der Güterverkehr führt überwiegend von Maschen, das ist der Rangierbahnhof für Hamburg, auf einer zweigleisigen Güterzugstrecke nach Buchholz und dann zum Teil weiter nach Bremen/Münster und zum Teil wieder nach Nienburg/Minden/Bielefeld. Wenn nun also in dem Abschnitt Güterzüge für beide Richtungen gleichzeitig unterwegs sind, werden sie wahrscheinlich die beiden südlichen Gleise benutzen, der Zug nach Maschen wird das südliche und der Zug von Maschen das mittlere Gleis verwenden. Ein einzelner Reisezug, der gleichzeitig dort unterwegs ist, wird das nördliche Gleis verwenden, egal ob er von Hamburg kommt oder nach Hamburg fährt. Sind nun zwei Reisezüge dort unterwegs, werden sie entsprechend die beiden nördlichen Gleise verwenden und ein gleichzeitig verkehrender Güterzug das südliche. Für diese Konstellationen ist es also sinnvoll, wenn alle drei Gleise jeweils für beide Richtungen ausgelegt sind und die Signale an der Strecke und die fahrenden Züge, die ich dort gesehen habe, sahen auch danach aus.
Bei viergleisigen Strecken ist Gleiswechselbetrieb und die Vorbereitung aller vier Gleise für jeweils beide Richtungen sicher sinnvoll, aber man kann doch genau wie bei den meisten zweigleisigen Strecken eine Standardkonstellation festlegen oder beobachten, die für den Streckenabschnitt praktiziert wird. So gibt es Linienbetrieb, was bedeutet, dass die vier Gleise zwei Gruppen bilden, wie zwei zufällig nebeneinander liegende zweigleisige Strecken, die typischerweise jeweils (überwiegend) im Linksverkehr oder Rechtsverkehr befahren werden. Die andere häufig vorkommende Möglichkeit ist der sogenannte Richtungsbetrieb, wo jeweils zwei nebeneinanderliegende Gleise für dieselbe Richtung vorgesehen sind. Richtungsbetrieb ist eigentlich günstiger, weil Züge zwischen den beiden Gleisen für dieselbe Richtung wechseln können. So könnten etwa ICEs auf den beiden mittleren Gleisen verkehren, Regionalzüge auf den beiden äußeren und Eilzüge (Regionalexpress) jeweils auf den äußeren Gleisen, wenn ein ICE sie überholt und sonst auch auf den mittleren Gleisen. Da die viergleisigen Strecken meist historisch gewachsen sind, also ursprünglich zweigleisig waren und später um ein zweites Gleispaar ergänzt wurden, ist Linienbetrieb sehr viel häufiger anzutreffen. Beispiele sind die Bahnstrecke von Minden zum Ruhrgebiet, wo zwei Gleise für den Güterverkehr und zwei Gleise für den Reisezugverkehr liegen. Oder die bereits viergleisig ausgebauten Abschnitte der Strecke Karlsruhe – Basel, wo zwei Gleise für schnelle Züge und zwei Gleise für Regionalverkehr nebeneinander liegen und die Güterzüge grundsätzlich alle vier Gleise benutzen können. Hier hat man die Investition für den teuren Ausbau für 250 km/h nur für eines der Gleispaare aufgewendet, das nachträglich dazu kam. Bekannt sind auch die S-Bahn-Strecken, die parallel zu vorhandenen Bahnstrecken mehr oder weniger weit von einem zentralen Ort nach außen verlaufen, was auch insgesamt oft vier Gleise ergibt.
Fünfgleisige Strecken könnten ja sinnvoll sein, wenn man in der Regel vier Gleise braucht, aber noch eines extra hat für die Hauptverkehrszeit, für Bauarbeiten oder bei Betriebsstörungen. Das habe ich aber nie auf längeren Streckenabschnitten gesehen, nur auf kurzen Abschnitten von wenigen Kilometern Länge, wo mehrere Strecken gebündelt verlaufen. Sechsgleisige, achtgleisige und zehngleisige Strecken gibt es. Ein Beispiel für einen achtgleisige Strecke ist in Hamburg die Strecke von Rothenburgsort nach Harburg, wo zwei Güterzuggleise, zwei S-Bahn-Gleise und vier Gleise für den Regional- und Fernverkehr gebündelt verlaufen. Die Güterzuggleise biegen vor dem Hauptbahnhof nach Osten ab und die Güterzüge können in Richtung Berlin, Lübeck oder über die nördlich der Innenstadt verlaufende Umgehungsbahn in Richtung Flensburg und Kiel weiterfahren. Eine zehngleisige Bahn-Strecke habe ich in Tokio gesehen, vielleicht 2 Gleise für den Shinkansen und 8 Gleise für die S-Bahn.
Das ist ein sehr interessanter Artikel zum Rechtsverkehr oder Linksverkehr bei der Bahn. Ich habe mir schon einige Beiträge dazu durchgelesen. Vielen Dank, ich weiß jetzt genug zum Thema.
Auch auf eingleisigen Bahnstrecken ist entweder Links- oder Rechtsverkehr. Wegen des langen Dampfkessels vor dem Führerhaus war die Sichtweite sehr begrenzt. Eine gute Sicht hatte man nur auf der einen Seite, wo der Lokführer stand/saß. Demzufolge standen alle Signale, Hinweistafeln und Schilder konsequent auf nur einer Seite vom Gleis. Diese Praxis hat man auch bei modernen Elektro- und Triebstoffloks beibehalten. Ob links oder rechts gefahren wird, entscheidet auf welcher Seite in der Lok der Lokführer sitzt. Zum Beispiel in Schweden, wo früher überall, auch auf der Straße, (bis 1967) Linksverkehr herrschte, sitzen die Lokführer immer links. Alle Signale stehen links vom Gleis. Das im Gegensatz zu Norwegen, wo es «immer» Rechtsverkehr gab.
Frankreich war das führende Land bei der Einführung des Rechtsverkehrs auf der Straße. Dann wundert man sich, warum es auf französischen Bahnstrecken den Linksverkehr gibt. Ich möchte drei Hypothesen anführen:
1. Die Eisenbahntechnologie stammt aus Großbritannien, und die Briten haben die erste richtige Bahnlinie in Frankreich gebaut. In Großbritannien wurde immer links gefahren.
2. Beim Linksverkehr kann der Lokführer den Dampfregler mit der rechten Hand bedienen. Das erleichtert das Fahren.
3. Die Franzosen hatten gehofft, dass wenn sie auf Bahnen in Frankreich den Linksverkehr einführten, würden die Briten auf ihren Straßen den Rechtsverkehr einführen, also ein Versuch zum Kompromiss, den Verkehr zu vereinheitlichen.
Summa summarum ist, dass heutzutage im Eisenbahntunnel unter dem Ärmelkanal kein Seitenwechsel notwendig ist.