Die große Betriebsstörung

Man erlebt sie als Bahnfahrer sehr selten, diese große „Betriebsstörung“, außer dort, wo Eisenbahner exzessiv streiken. Aber wenn man etwa eine Million Kilometer mit der Bahn gefahren ist, dann kann schon mal die eine oder andere Sache vorgekommen sein. So sollte man sich nicht entmutigen lassen, da es doch relativ selten ist, aber es ist vielleicht gut zu wissen, wie so etwas dann läuft. Kleinere Störungen, die eine bestimmte, unter Umständen wichtige Strecke für ein paar Stunden oder gar Tage unbenutzbar machen, gibt es natürlich eher mal und auch das habe ich schon erlebt, aber auch eher selten. Häufiger noch hat man geplante Sperrungen von Strecken für Bauarbeiten, die man häufig versucht auf Nächte oder Wochenende oder zumindest nur einzelne Tage zu legen, aber da lässt sich die Planung natürlich besser in den Griff bekommen, weil das lange vorher bekannt ist und entsprechende Alternativrouten schon bei der Planung der Fahrt berücksichtigt werden können.

So eine richtig große Betriebsstörung sieht so aus, dass in einem größeren Gebiet die Züge komplett ausfallen. So etwas habe ich einmal in der Schweiz erlebt, als etwa 2006 der Strom ausfiel und die Züge in der ganzen Schweiz für ein paar Stunden nicht fuhren. Da ich an dem Tag ein Fahrrad mitgenommen hatte, konnte ich das für den Schienenersatzverkehr einsetzen, so dass mich diese Sache nur am Rande betraf und entsprechend weniger in Erinnerung geblieben ist. Am 9. Juni 2014 war dann der komplette oder fast komplette Bahnverkehr in Nordrhein-Westfalen betroffen, einem Bundesland das 2-3 mal so viele Einwohner wie die Schweiz hat, aber wegen des noch geringeren Anteils der Bahn am Verkehr vielleicht vergleichbar mit der kompletten Schweiz ist. Es gab ein sehr heftiges Gewitter und einzelne Regentropfen kamen sogar durch das Bahnhofsdach durch. Der Zug sollte etwa 10 min Verspätung haben aus denen dann 20 wurden. Das war alles nicht so tragisch. Ich wollte nach Duisburg fahren, von wo ich eine Reservierung für den Nachtzug nach Basel hatte. Dieser sollte um 22:57 fahren und ich wäre um 21:36 schon dort gewesen. Der Nachtzug hätte auch in Köln gehalten, aber erst um 23:45 und dann wäre die Reservierung möglicherweise verfallen und die Schlaf- oder Liegeplätze anderen Fahrgästen gegeben worden. Oder es wäre einfach nur die Zeit zum Schlafen zu kurz geworden. Nun wurde schon angesagt und angezeigt, dass der komplette Bahnverkehr in Nordrhein-Westfalen vorübergehend eingestellt sei. Blitze in die Stromversorgung, Überschwemmungen, umgefallene Bäume oder was auch immer, alles sehr seltene Ereignisse, traf nun auf einmal ein komplettes Bundesland oder doch einen großen Teil davon. Vielleicht sogar andere Bundesländer. Die Idee mit dem Umstieg in Duisburg in die Gegenrichtung wurde immer unrealistischer und so nahm ich Düsseldorf als Basis. Dort würde der Nachtzug, wenn er als einziger pünktlich verkehren würde, ca. um 23:20 abfahren und so müsste der Regionalzug um 22:50 dort sein. 30 min Umsteigezeit sind in so einer Situation das absolute Minimum, auf das man sich einlassen sollte, solange man es beeinflussen kann. Bei ca. 30 min Fahrzeit hätte der Zug also um 22:15 spätestens abfahren müssen. Was nicht passierte. So verließ ich den Zug und machte ich mich auf den Weg zu der langen Schlange am Informationsschalter, um die 90 min bis zur planmäßigen Abfahrt des Nachtzugs in Köln zu nutzen, um ein Verfallen der Reservierung zu verhindern. Es war zu erwarten, dass auch der Nachtzug 1-2 Stunden Verspätung bekommen würde, aber die Details mussten sich zeigen… Nach und nach zeichnete sich ab, dass diese vorübergehende Störung nicht so schnell enden sollte und ich erfuhr schon in der Schlange, dass der Nachtzug definitiv ausfallen sollte. Als ich dran kam, gab es einen Hotelgutschein für ein nahegelegenes Hotel und eine Zugverbindung für den nächsten Tag. Da ich ein Fahrrad mitgenommen hatte, war die erste Verbindung erst um 8:53 und eine Stunde langsamer als der ICE, und eigentlich sollte ich die am nächsten Morgen noch reservieren.

Grundsätzlich muss man feststellen, dass die Krisenbewältigung gut organisiert wurde. Sehr viele zusätzliche Eisenbahner wurden kurzfristig zur Arbeit geholt, um die tausenden gestrandeten Fahrgäste zu betreuen und deren Weiterreise oder Übernachtung zu organisieren. Hotelplätze wurde reserviert und abgesehen davon, dass das alles nicht schön ist, weil man Pläne für den Tag hat, die dann ins Wasser gefallen sind, funktionierte das einigermaßen gut und es waren gute Zimmer und Betten. Der Zug am nächsten Morgen hatte dann noch eine Stunde Verspätung, was damit zusammenhing, dass die Strecken nördlich von Köln noch beeinträchtigt waren. Statt in Zürich wendete der Zug in Basel Bad, was mehr Umsteigen erforderlich machte und so waren es am Ende 8 Stunden Verspätung gegenüber der geplanten Verbindung mit dem Nachtzug. Etwas mehr als die dänische Bahn 2013 geschafft hat, aber damals betraf es nur eine einzelne Reise die durch häufiges Umsteigen und verpasste Anschlüsse etwa 5 1/2 Stunden Verspätung hatte.

Was kann man machen? Oft ist es hilfreich, wenn man eine gewisse Kenntnis über die Strecken und den Zugverkehr darauf hat. Dann kann man sich besser eine Alternativverbindung vorstellen und danach fragen. In der Situation, wo tausende von Fahrgästen eine „Lösung“ brauchen, gelingt es den Eisenbahnern, die dort informieren nicht immer, die optimale Alternativverbindung vorzuschlagen, außer es ist ein sehr häufiger Fall, den sie schon kennen. Zum Beispiel wollte eine Reisende, die auch in der Schlange stand, nach Bad Bentheim, wobei der reguläre Weg über Münster führt, was aber wohl nicht ging. Über die Niederlande wäre eine Verbindung vielleicht möglich, wobei sich die Bahnen oft schwer tun, sich bei so etwas gegenseitig zu helfen.

Außerdem ist es für die Bahn noch eine Herausforderung, die Fahrgäste einigermaßen gleichmäßig auf solche Alternativverbindungen zu verteilen, damit nicht am Ende die Hälfte der Fahrgäste bei der optimalen Alternative auf dem Bahnsteig bleibt, weil in den Zug nicht mehr Leute reingequetscht werden können.

Grundsätzlich würde ich Euch bitten, der Versuchung zu widerstehen, die Wut oder den Ärger über die kaputten Reisepläne an den Eisenbahnern auszulassen, die dort arbeiten, denn die können meistens sehr wenig dafür und versuchen in der schwierigen Situation ihre Arbeit gut zu machen. Und ja, sie sind dabei dann auch manchmal gestresst…

Recht gut hat einmal eine junge Eisenbahnerin, vielleicht noch in der Lehre, die ganzen Manager und Möchtegern-Manager bei der Hannovermesse oder CeBIT in Hannover beruhigt. Ausgerechnet zu der Zeit hatte man versucht, das neue elektronische digitale Stellwerk in Hamburg-Altona einzuweihen und wegen eines Softwarefehlers machte das defensiv programmierte System das, was es dann machen soll, es verhinderte Zugfahrten, statt irgendwelche Fehlfahrten zu riskieren und schränkte dadurch die Kapazität in Hamburg, die sowieso eher knapp ist, noch weiter ein. Nun standen da alle, die meinten, ihre Zeit koste pro Sekunde recht viel, aber die für Informationen der Fahrgäste auf dem Bahnsteig tätige Eisenbahnerin ließ sich nicht einschüchtern, blieb freundlich und ruhig und letztlich regten sich dann auch alle wieder ab und kamen auch irgendwann etwas später als gewünscht nach Hause. Ein anderes Mal war sehr viel Schnee und die Fahrgäste im Zug regten sich über ca. 1-2 Stunden Verspätung auf, bis ihnen der Kondukteur sagte, dass die Autofahrer an dem Tag gar nicht ans Ziel kämen. Tatsächlich fehlten bei dem Treffen am Ziel der Reise alle, die mit dem Auto kommen wollten.

Solche Störungen sind immer ärgerlich und manchmal auch teuer, aber zum Glück sind sie sehr selten. Vielleicht geben sie bei allem negativem doch auch die Gelegenheit, andere Menschen kennenzulernen, die auch „gestrandet“ sind. Das ist vielleicht ein schlechter Trost, aber man sollte doch versuchen, die kleinen positiven Dinge, die es trotz allem immer wieder einmal gibt, noch wahrzunehmen.

Enttäuschend war, dass einige Tage danach Leute im Bahnhof im Zürich standen und den Fahrgästen sagten, dass der Nachtzug nach Amsterdam ausfalle. Angeblich war das Rollmaterial eingeschlossen zwischen gesperrten Streckenabschnitten. Aber man hat auch so viel Rollmaterial ausgemustert, um eine börsenfähige AG zu bauen, dass es nicht mehr möglich ist, Ersatzgarnituren für so einen Tag aufzubieten. Dass man einen gesperrten Abschnitt umfahren kann, ist zu offensichtlich um es zu verleugnen, ist doch das Bahnnetz zwischen Köln und Amsterdam sehr dicht und man kann über Belgien oder über eine längere Fahrt in den Niederlanden ausweichen, wenn alle parallelen Strecken in Nordrhein-Westfalen gesperrt sind.

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