In der Informatik ist es üblich, Infrastruktur großzügig redundant auszulegen, man kauft also für einen wichtigen Service zwei identische Server und lässt die parallel laufen, wobei einer alleine die ganze Last bewältigen könnte, oft will man das sogar ohne nennenswerte Einbußen beim Durchsatz und den Antwortzeiten. Bei größeren Systemen gibt es sogar ganze Serverfarmen und der Ausfall von einzelnen Servern ist eine selbstverständliche Routine. Wann sind Google, Twitter, Facebook, vk.com, Wikipedia, Instagram, WhatsApp, Netflix o.ä. das letzte Mal „offline“ gewesen?
Bei Verkehrswegen sind die Baukosten, der Platzbedarf und auch die Zeiträume für den Bau so groß, dass man sich dieses Maß an Redundanz nur selten leisten kann. Man nimmt in Kauf, dass bei einer Störung oder auch bei geplanten Bauarbeiten einige Züge Verspätung haben oder sogar ausfallen. Das sollte aber nicht zu leicht passieren und es sollte sich auch in Grenzen halten. Dass wie in Rastatt eine der wichtigsten Strecken in Mitteleuropa für mehr als einen Monat komplett gesperrt wird, ist sicher nicht im Rahmen, insbesondere weil es bei weitem nicht genug Umleitungsmöglichkeiten gegeben hat. Gerade an diesem Tag ist ein Störfall im Bahnhof Basel SBB vorgefallen, der die Kapazität der Strecke von Karlsruhe nach Basel wiederum stark reduziert und in Basel zu einem zeitraubenden Bahnhofswechsel mit Tram oder S-Bahn zwingt.
Achillesfersen im Bahnnetz sind z.B. in Deutschland prinzipiell alle wichtigeren Bahnhöfe, also Leipzig, Frankfurt, München, Hamburg, Köln, Essen, Düsseldorf, Dortmund, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart, Nürnberg, Berlin, Münster, Bremen, Hannover.. Das ist in der Schweiz nicht anders, da wären es z.B. Zürich, Olten, Winterthur, Lausanne, Bern, Basel, Luzern und Genf… Allerdings wird für einen längeren Totalausfall eines größeren Bahnhofs auch ein größeres Ereignis benötigt als jetzt in Rastatt. Für den Güterverkehr sind diese Bahnhöfe meist weniger relevant, weil sie sich in den meisten Fällen umfahren lassen. Normalerweise sind solche Störereignisse örtlich begrenzt und betreffen vielleicht ein bis vier nebeneinanderliegende Gleise. Stellwerksstörungen können dagegen heute schon schlimmstenfalls riesige Gebiete betreffen, weil Stellwerke zentralisiert werden oder schon sind. Stellwerke sind aber Informatiksysteme und man investiert dort sehr viel in hohe Zuverlässigkeit. Die ganz große Stellwerksstörung, die ein ganzes Land oder eine große Region komplett lahmlegt hat es seit der Anwendung dieser Technologie meines Wissens noch nicht gegeben.
Schaut man sich aber das Streckennetz an, so findet man bei vielen wichtigen Verbindungen mehrere parallel oder fast parallel verlaufende Strecken. Von Rastatt nach Norden ist das bis zur östlichen Ecke des Ruhrgebiets in Hamm oder bis Münster der Fall. Auch vom Ruhrgebiet nach Bremen und Hamburg gibt es brauchbare, weitgehend mehrgleisige, elektrifizierte inländische Alternativrouten. Eine Achillesferse sind sicher die Elbbrücken in Hamburg, die allerdings acht Gleise haben, womit ein gleichzeitiger Ausfall aller Gleise nicht mehr so wahrscheinlich ist. Von Hamburg nach Hannover und Frankfurt oder auch nach Berlin gibt es auch mehrere brauchbare Strecken. Ebenso von Hannover nach Nürnberg und München oder von Berlin nach Frankfurt, Nürnberg und München. Auch vom Ruhrgebiet nach Stuttgart, München, Frankfurt und Nürnberg gibt es mehrere brauchbare Strecken. Von Leipzig nach Berlin sind mehrere leistungsfähige Strecken vorhanden, ebenso von Leipzig nach Frankfurt und ins Ruhrgebiet und nach München und Nürnberg. Ebenso lässt sich die Strecke vom Ruhrgebiet nach Hannover über Paderborn – Altenbeken – Hameln umfahren.
Die ganze Strecke von Stuttgart nach München hat als Alternativroute die Strecke über Aalen und Donauwörth, die in den 70er-Jahren für diesen Zweck elektrifiziert wurde. Von Karlsruhe nach Basel gibt es auf der anderen Rheinseite eine durchgängige Strecke, die einmal komplett von Ludwigshafen bis Basel zweigleisig war. Heute ist zwischen Wörth und Lauterburg ein Stück nur eingleisig, die Strecke ist zwischen Wörth und Straßburg nicht elektrifiziert und es gibt immer noch zu große technische Hürden an der Grenze (siehe Grenzüberschreitende Bahnverbindungen, Rastatt (wieder offen) und 40-Tonner in diesem Blog). Die Empfehlung ist hier, die Strecke durchgängig zweigleisig auszubauen und zu elektrifizieren. Sie hätte sicher einiges Potential für den Regionalverkehr, wenn auch wohl der Fernverkehr die rechtsrheinische Route über Karlsruhe und Kehl nach Straßburg bevorzugen wird.
In der Schweiz sind auch trotz eines dichten und vollständig elektrifizierten Bahnnetzes einige wichtige Routen nur eingeschränkt umfahrbar, z.B. die Strecke von Zürich bis Winterthur und von Zürich bis Baden. Zum Teil fehlen nur Verbindungskurven, wie z.B. bei Rotkreuz, Zofingen oder Kerzers, um prinzipiell vorhandene, eingleisige Strecken besser für Umleitungen ohne Richtungswechsel nutzen zu können, auch wenn die Kapazität nur für einen reduzierten Betrieb reichen würde.
Wo gibt es noch Achillesfersen im deutschen oder im mitteleuropäischen Bahnnetz?
Wenn man sich die Situation anschaut, sieht man, dass das Bahnnetz überwiegend auf den allerwichtigsten Verbindungen dicht genug ist, um bei Störfällen Alternativrouten zu bieten. Rastatt war also abgesehen vom denkbaren Ausfall eines großen Bahnhofs oder eines großen Rangierbahnhofs für den Güterverkehr einer der ungünstigsten Punkte im Netz. Es ist aber auch wiederum nicht nötig, überall zweite Strecken zu bauen, weil entsprechende Umleitungsrouten meistens existieren und auch elektrifiziert worden sind. Man sollte aber doch das Gesamtsystem auf seine Zuverlässigkeit bei Betriebsstörungen analysieren. Mindestens lohnt es sich, einzelne Verbindungskurven zu bauen, um die Alternativrouten ohne Richtungswechsel zu befahren, wo das möglich und nötig ist. In einigen Fällen kann man Alternativrouten elektrifizieren oder einzelne kürzere Abschnitte zweigleisig ausbauen.
Sinnvoll wäre sicher ein durchgehend zweigleisiger Ausbau mit Elektrifizierung zwischen Wörth bei Karlsruhe und Straßburg und die Elektrifizierung, eventuell mit zweigleisigem Ausbau kombiniert, zwischen Lüneburg und Lübeck, was eine auch im Normalbetrieb nützliche Umfahrungsmöglichkeit für Hamburg schaffen würde. Ebenso ist die Elektrifizierung und der Ausbau der Bahnstrecke von Lübeck nach Bad-Kleinen, der als „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ versprochen worden war, nun schon seit über 25 Jahren verschleppt worden. Dies sollte eine Verbindungskurve einschließen, um von Lübeck an Bad Kleinen vorbei nach Schwerin fahren zu können. Eine sinnvolle Bahnverbindung von Berlin nach Kopenhagen mit dem Bahntunnel unter dem Fehmarnbelt ist nur denkbar, wenn man den Umweg über Hamburg vermeidet und von Berlin entweder über Schwerin oder über Büchen direkt nach Lübeck fährt. Eventuell wäre die Fähre von Warnemünde nach Gedser sogar noch schneller als der Umweg, wenn man hier nicht die Möglichkeit der Bahnverladung abgebaut hätte und ein wenig in die Strecken investiert hätte. Von Mannheim und Karlsruhe kann man auch nördlich an Stuttgart vorbei über Heilbronn, Schwäbisch-Hall, Crailsheim und Ansbach nach Nürnberg und München fahren, sogar ohne Fahrtrichtungswechsel. Die Strecke ist von Schwäbisch-Hall bis Ansbach und von Karlsruhe und Stuttgart bis etwa zur Mitte zwischen Heilbronn und Schwäbisch-Hall schon elektrifiziert, im westlichen Abschnitt, um dort mit Zweisystem-Straßenbahnen zu fahren. Sie ist östlich von Heilbronn zweigleisig. Man könnte also mit einer relativ kurzen Elektrifizierung auch hier eine Umleitungsstrecke schaffen und nebenbei beim Regionalverkehr auf der Strecke den ganzen Betrieb auf Elektrotriebwagen umstellen.
Schreibe einen Kommentar