Nachtzüge

Natürlich gibt es zwei Arten von Nachtzügen.

Einerseits Züge für mittlere und kurze Strecken mit Sitzwagen, die einfach denjenigen dienen, die spät abends oder früh morgens oder eben nachts unterwegs sind, sei es wegen Schichtarbeit oder sei es wegen Nachtschichten in der Freizeit. Man wird übrigens recht selten in dieser Welt fündig, wenn man nach Strecken oder Teilnetzen sucht, die einen 24-Stunden-Betrieb haben. Oft gibt es einen reduzierten Nachtverkehr an Wochenenden, zum Beispiel das Nachtnetz bei der S-Bahn in Zürich. Die U-Bahn in New York hat einen echten 24-Stunden-Betrieb an allen Tagen und an allen Stationen, aber nicht auf allen Linien. Nachts fahren weniger Züge und man muss öfter umsteigen. Die meisten S- und U-Bahn-Systeme haben aber zumindest an fünf Nächten in der Woche eine echte Betriebspause. Um dem Rechnung zu tragen, nennt man intern oft Abfahrzeiten von 1:00 lieber 25:00, um auszudrücken, dass es betrieblich noch zu dem eigentlich schon vergangenen Tag gehört.

Andererseits gibt es Nachtzüge mit längeren Fahrzeiten, die dafür gedacht sind, dass die Fahrgäste dort schlafen können, oft mit Sitz-, Liege- und Schlafwagen, zum Beispiel CityNightLine. Um diese soll es hier gehen.

Man erlebt übrigens auch, dass diese beiden Arten von Nachtzügen kombiniert werden, etwa indem an einen echten Nachtzug mit Schlaf- und Liegewagen einzelne Sitzwagen angehängt werden, die wie ein normaler Fernzug für mittlere Strecken benutzt werden können, meist ohne die Preisaufschläge, die man im anderen Zugteil zahlen müsste.

Wenn man im Zug schlafen will, sollte die Fahrt lange genug dauern. Gut ist vielleicht von 22:00 bis 8:00, aber ein bisschen ist das individuell, wie lange und wie gelegene Fahrzeiten man da präferiert. So kommt es zu der bizarren Situation, dass Nachtzüge eine längere Fahrzeit durch gezielte Langsamfahrt oder durch stundenlange Halte erzielen. Letztlich ist ein Nachtzug eher eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung, wie ein Flug, mit einem Vor- und Nachlauf, den man aber oft schneller mit Umsteigen auf Tageszüge befahren kann. Typisches Beispiel ist hier der CNL von Hamburg, Berlin oder Amsterdam nach Zürich. Man kann bis Zürich drin bleiben, aber auch in Basel SBB umsteigen auf den IC und eine gute Viertelstunde früher nach Zürich kommen und dort auch noch bessere Anschlüsse erwischen. Da ich meistens direkt nach der Nachtfahrt einen Arbeitstag habe, nutze ich die etwas längere Fahrzeit oft noch aus, um länger zu schlafen, wenn es nach Zürich gehen soll. Ein bisschen verwischt die Punkt-zu-Punkt-Verbindung, weil es mit demselben Zug viele sinnvolle Verbindungen gibt, die jeweils lang genug sind, um zu schlafen, aber zeitlich versetzt. Das hat den Nachteil, dass bei einem mit anderen Personen geteilten Abteil die Tür offen bleiben muss, bis der letzte eingestiegen ist. Für den Komfort der Reisenden wäre es also besser, man würde zeitlich phasengleiche Reisende bevorzugt zusammenlegen. Und doch gibt es meistens in der Mitte eine längere Zeit, in der keine Halte zum Ein- und Aussteigen vorkommen. So liegt der Nachtzug vielleicht irgendwo zwischen dem normalen Fernzug mit regelmäßigen, aber nicht zu häufigen Halten und dem Flugzeug, dass nur eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung liefert, indem eine Reihe von versetzten Punkt-zu-Punkt-Verbindungen kombiniert wird mit einem Vor- und Nachlauf, den man theoretisch auch durch eine Umsteigeverbindung mit Tageszügen ersetzen könnte.

Aber was ist heute die Rolle von Nachtzügen? Viele Verbindungen sind heute durch Hochgeschwindigkeitszüge auch relativ schnell am Tag zu bewältigen und da ist der Anreiz, den Tag zu sparen und nachts zu fahren, kleiner geworden. Aber es kann sich doch noch lohnen. Meistens ist es so, dass man die ersten Nächte in Schlaf- und Liegewagen nicht sehr viel schläft, weil man es erst lernen muss. Mit der Zeit wird es besser, vielleicht nicht so gut wie im Bett oder im Zelt an einem Ort, aber doch gut genug, um den nächsten Tag normal bewältigen zu können. Dann ist es schon ein Vorteil, die Zeit zu sparen. Außerdem gibt es auch Reisen, die den Rahmen von 18 Stunden, den man so etwa mit einer langen Tagesfahrt haben kann, sprengen. Da sind dann Fahrten mit einem Tag und einer Nacht oder zwei Tagen und einer Nacht oder zwei Nächten und einem Tag durchaus sinnvoll. Bei solchen Verbindungen wird es dann oft zur Herausforderung, sie so zu planen, dass die Nachtabschnitte dorthin fallen, wo es wirklich Nachtzüge gibt und eventuell an einem attraktiven Ort eine längere Pause einzulegen, damit es aufgeht. Von Zürich nach Bodø in Nordnorwegen braucht man mit Zug und Schiff drei Nächte und zwei Tage, hat aber in Hamburg, Kiel oder Lübeck und dann in Oslo oder Trondheim jeweils ein paar Stunden Zeit. Die Idee ist ein Nachtzug von Zürich nach Hamburg, ein Schiff von Kiel nach Oslo, ein Tageszug von Oslo nach Trondheim und dann ein Nachtzug von Trondheim nach Bodø. In der Gegenrichtung funktioniert das so nicht, da braucht man länger, weil das Schiff von Oslo nach Kiel schon um die Mittagszeit abfährt, was man kaum schaffen kann, wenn man nach der Ankunft mit dem Nachtzug in Trondheim noch 7 Stunden im Tageszug nach Oslo fahren muss.

Nun sind heutige Nachtzüge oft viel langsamer als Tageszüge. Auf eine Art ist das sicher sinnvoll, weil man im Nachtzug viel mehr Platz pro Fahrgast braucht und mit der niedrigeren Geschwindigkeit den Energieverbrauch auf einem ähnlichen Niveau wie bei Tageszügen halten kann. Genaue Zahlen kenne ich nicht, aber wenn man bedenkt, dass der Energieverbrauch etwa mit dem Quadrat der Geschwindigkeit steigt, lässt sich das Ergebnis auf jeden Fall so erreichen. Um die typischen Distanzen zu bewältigen, muss man sogar schauen, wie man die Zeit rumbringt, damit die Fahrt lange genug dauert. Aber es gäbe sicher einen sinnvollen Bereich für Nachtzüge, wo man etwas schneller als heutige Nachtzüge fährt, sagen wir 180-200 km/h, und damit längere Strecken in einer Nacht schafft. In China bin ich einmal in einem Nachtzug von Changsha nach Peking gefahren, der in 13 Stunden fast 1700 km gefahren ist. Nur ein 130er-Schnitt und ohne Zwischenhalte, aber das ist eigentlich schon eine recht gute Geschwindigkeit. Nachtzüge mit Durchschnittsgeschwindigkeiten über 100 km/h sind in dieser Welt sehr selten zu finden. Aber das wäre auch in Europa nützlich. Leider gibt es viele nützliche Nachtzugverbindungen nicht mehr, zum Beispiel von Zürich nach Belgien oder nach Italien. Und viele nützliche längere Verbindungen sind noch nicht eingeführt worden oder dauern unnötig lange. Zürich – London wäre ein gutes Beispiel, und es sollen für den Ärmelkanal sogar Nachtzuggarnituren gekauft worden sein, die dort aber nie zum Einsatz kamen.

Share Button

Beteilige dich an der Unterhaltung

5 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*