Breitspurbahnen in Mitteleuropa II (Sinn und Projekte)

Breitspurbahnen in Mitteleuropa I (Spurweiten)

In Europa dominieren im Fernverkehr zwei Spurweiten, die „russische“ Breitspur von 1520 mm bzw. 1524 mm in der östlichen Hälfte von Europa (Russland, Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Finnland, Estland, Lettland und Litauen) und die Normalspur von 1435 mm in der westlichen Hälfte (mit Ausnahme von größeren, wiederum breitspurigen, Netzen ganz im Westen in Spanien, Portugal und Irland).

Man hat also den Vorteil, dass in den jeweiligen Hälften sehr lange Strecken innerhalb von Gebieten mit riesigen Einwohnerzahlen durchgängig mit derselben Spurweite zurückgelegt werden können. Schmerzhaft ist der Bruch der Spurweite potentiell zwischen Moldawien und Rumänien, die sprachlich und historisch eng verbunden sind, aber auch zwischen Polen und den baltischen Ländern, wo die Bahn praktisch weder im Güterverkehr noch im Reiseverkehr für den Verkehr mit den übrigen EU-Ländern konkurrenzfähig ist und der Güterverkehr überwiegend mit Lastwagen und Schiffen bewältigt wird. Generell wird der Verkehr nach Osteuropa und Ostasien auf der Schiene durch den Spurweitenbruch an der ukrainischen und weißrussischen Westgrenze erschwert. Das Projekt Rail Baltica sieht eine normalspurige Hochgeschwindigkeitsstrecke von Warschau über Kaunas (Litauen) und Riga (Lettland) nach Tallinn (Estland) vor. Damit werden diese Länder aber längere Zeit mit zwei Spurweiten im Fernverkehr leben müssen, denn auch wenn weitere Strecken in Normalspur folgen oder umgebaut werden, bleibt doch die russische Breitspur wegen des Ost-West-Verkehrs mit Russland und Weißrussland bedeutend. Insbesondere können diese Länder Häfen in den baltischen Ländern verwenden und es gibt Bedarf für Transitverkehr vom östlichen Teil von Russland in das ebenfalls russiche Nordostpreußen (Königsberger Gebiet, Калининградская область). Wenn man also, wie ich es tue, die baltischen Länder zu Mitteleuropa zählt, dann gibt es hier schon Breitspurbahnen in Mitteleuropa, die auch für die Zukunft eine große Bedeutung behalten dürften. Finnland ist gegen Westen hin fast eine Insel. Es gibt eine Festlandsverbindung mit Schweden nur über Happaranda/Tornio oder über St. Petersburg, was meistens ein großer Umweg ist und die Schiffs- und Flugverbindungen haben hier eine größere Bedeutung, fast wie bei einer Insel. Vielleicht wird es einmal einen Tunnel von Estland nach Finnland geben oder eine Brücke über die nördliche Ostsee von Umeå nach Finnland. Damit kann man aber nicht in der näheren Zukunft rechnen. Nach Russland besteht eine lange Grenze und so ist es auch in Finnland ein Vorteil, dieselbe Spurweite wie Russland zu haben. Der Bruch mit der Normalspur von Schweden und Norwegen wird aber auch potentiell zu einem Problem, weil Nordfinnland erhebliche Erzvorkommen hat, deren Bahnanbindung an eisfreie Häfen in Norwegen nun wahrscheinlich eigene Strecken nach Kirkenes oder Skibotn erfordern wird.

Nun gibt es zahlreiche Breitspurstrecken (1520 mm–1524 mm), die aus Weißrussland und der Ukraine ein Stück weit nach Polen und in die Slowakei reichen. Eine davon führt von Uzhhorod (Ужгород) in der Ukraine nach Kaschau (Košice) in der Slowakei und man plant, diese bis nach Wien zu verlängern.

Der Vorteil ist offensichtlich, dass man weniger umladen muss, wenn die Bahn von Ostasien bis zu einem größeren Zentrum in Mitteleuropa durchgängig dieselbe Spurweite hat. An den Grenzen von der Mongolei, Russland und Kasachstan zu China ist aber ein Wechsel der Spurweite nötig. Mit Containern ist das nicht so schlimm, wenn der Umladebahnhof gut organisiert ist, gut funktioniert und an einem Ort liegt, wo ohnehin die Container auf verschiedene Verkehrsträger umgeladen werden oder von wo Züge in verschiedene Richtungen weiterfahren. Alternativ kann man auch speziell dafür ausgelegte Wagen an entsprechenden Bahnhöfen umspuren, meist durch Wechsel der Drehgestelle, was aber zeitraubend ist. Für das Umladen ist Wien sicher eine etwas bessere Wahl als Kaschau. Konsequent wäre aber eine Verlängerung von Breitspurstrecken von Polen und der Slowakei bis zu größeren Wirtschaftsräumen wie Turin, Mailand, Paris, dem Ruhrgebiet, Frankfurt, Stuttgart, München, Berlin und vor allem zu Häfen wie Hamburg, Bremen, Antwerpen und Rotterdam.

Für den Reisezugverkehr sehe ich für solche Strecken kein Potential, außer vielleicht ein paar Nachtzüge von großen europäischen Zentren nach Russland, Weißrussland und in die Ukraine. Der Vorteil eines gut ausgebauten Streckennetzes, das einheitlich in Normalspur angelegt ist, sind einfach zu groß. Solche Breitspurstrecken können also praktisch nur dem Güterverkehr dienen. Hier sind aber einige kleine Vorteile erkennbar. Reine Güterzugstrecken können kostengünstiger gebaut werden, weil es zulässig ist, auch längere mehrgleisige Tunnel mit nur einer Röhre zu bauen und weil man Routen wählen kann, die abseits der dicht besiedelten Gebiete verlaufen. In schwierigem Gelände kann man auf teuren Hochgeschwindigkeitsausbau verzichten und die Kurvenradien und die Überhöhung in den Kurven auf eine einigermaßen einheitliche Geschwindigkeit von Güterzügen auslegen. So eine reine Güterzugstrecke hat mehr Kapazität als eine Mischbetriebsstrecke, weil alle Züge etwa gleich schnell fahren und auch kaum unterwegs anhalten. In Ländern, die nicht auf das aktuell sinnvollste Stromsystem von 25’000 V und 50 Hz setzen, haben solche vollständig getrennten breitspurigen Güterzugstrecken den Vorteil, dass man dieses Stromsystem oder sogar eines mit einer noch höheren Spannung wählen kann. Die Breitspur zwingt zu solchen separaten Strecken, weil eine gemeinsame Führung mit normalspurigen Strecken nur mit Vierschienengleisen, wo die beiden Gleise ineinander geschoben leicht versetzt liegen, möglich ist, was man wohl nur für sehr wenige Streckenabschnitte tun würde. Dies ließe sich alles auch mit reinen Güterzugstrecken für Normalspur erreichen. Interessant ist aber auch, dass man in Russland ein etwas größeres Lichtraumprofil für Güterzüge hat und so größere Ladungen transportieren kann oder Effizienzgewinne erzielen kann. Ein sehr großer Vorteil ist auch, dass man in Russland eine Kupplung ähnlich der in Nordamerika üblichen verwendet, die sehr viel längere und schwerere Güterzüge ermöglicht als die Schraubenkupplung in Europa.

Lohnt es sich nun, eine Breitspurstrecke bis Wien zu bauen oder sogar noch längere Güterzugstrecken in russischer Breitspur bis weit nach Mittel-, West- und Südeuropa? Vielleicht gäbe es genügend Potential dafür, wenn einmal konsequenter als heute eine Verlagerung von Güter- und Reisezugverkehr auf die Schiene verfolgt würde. In einem Umfeld, in dem die Staaten überwiegend den Straßenverkehr fördern, sollte man die Investitionsmittel aber auf Normalspurstrecken konzentrieren. Diese sollten primär den Reisezugverkehr beschleunigen und die Kapazitäten erweitern, ohne ein komplett neues System einzuführen. Man sollte höchstens punktuell in Breitspurstrecken investieren. Die mit einer gewissen Realisierungschance geplante Verbindung nach Wien wäre dafür gut.

Für Reisende ist das Umsteigen auf einer längeren Verbindung heute normal und so kann man für Reisezugverbindungen nach Osteuropa und zu nicht an der Rail Baltica gelegenen Orten im Baltikum ein einmaliges Umsteigen zum Spurweitenwechsel zumuten oder zeitraubend, aber seit Jahrzehnten bewährt, bei Nachtzügen die Drehgestelle wechseln. Wenn Europa einmal ein gut ausgebautes und einigermaßen vollständiges Netz an Hochgeschwindigkeits- und Regionalstrecken hat, wäre bei einem entsprechenden Bekenntnis zum Güterverkehr auf der Bahn ein Ausbau des Güterzugnetzes sicher der logische nächste Schritt. Vielleicht wären dann Breitspurstrecken auf einigen wichtigen Korridoren interessant.

Aktuell ist diese Thema wichtiger geworden und es sind neue Aspekte hinzugekommen. Daher gibt es einen dritten Teil: Breitspurbahnen in Mitteleuropa III (Aktuelle Überlegungen)

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7 Kommentare

  1. Hallo Karl
    Du hast geschrieben: „Der Vorteil ist offensichtlich, dass man weniger umladen muss, wenn die Bahn von Ostasien bis zu einem größeren Zentrum in Mitteleuropa durchgängig dieselbe Spurweite hat.“
    Das scheint offensichtlich, ist aber ein grundsätzlicher Denkfehler, denn der Umspur- oder Umladevorgang kann nur dann entfallen, wenn die Breitspur bis zum Quell- oder Zielort des Transports geht. Ort ist damit nicht im Sinn von Stadt oder Gebiet zu verstehen, sondern als die Ladegleise jener Betriebe, die die Wahren empfangen oder versenden. Das Schienennetz im Ruhrgebiet ist etwa 2200 km lang (Streckenlänge, nicht Gleislänge). Das entspricht 2 x der Entfernung des Ruhrgebiets von Weißrussland.

    1. Hallo Helmigo,
      ja, das mit der „letzten Meile“ ist natürlich wichtig.
      Der Trend geht allerdings sehr stark in die Richtung, die Anzahl der Gleisanschlüsse und sogar der Güterbahnhöfe zu verringern und sich mehr und mehr auf Containerzüge und Ganzzüge zu konzentrieren. Für Containerzüge wäre es wohl eine wünschenswerte Optimierung, die „letzte Meile“, die der Container auf Lkws reist, zu verkürzen.
      Container kann man natürlich relativ gut umladen. Trotzdem ist auch hier eine Optimierung, die Anzahl der Umladevorgänge zu verringern.
      Und wenn wir von den Ladegleisen und Gleisanschlüssen reden: Den Trend, diese abzubauen hat es in den letzten Jahren gegeben, aber man darf natürlich die Frage stellen, ob es wünschenswert und sinnvoll ist, diesen fortzusetzen oder ob man zumindest die heute bestehenden Zugangspunkte zum Schienengüterverkehr aufrechterhalten sollte.
      Insofern ist ein größerer Ausbau von Breitspurstrecken in Mittel-, Nord- und Südosteuropa auch unter diesem Aspekt zu betrachten.

      Wie ich oben geschrieben habe, halte ich heute den Ausbau des normalspurigen Schienennetzes mit Schwerpunkt für eine Verbesserung des Reisezugverkehrs für vordringlich. Aus meiner Sicht würde sich die Frage von Breitspurstrecken jenseits von ein paar einzelnen Projekten daher sowieso erst in ein paar Jahrzehnten stellen. Man sollte natürlich den Stand des Güterverkehrs, die Technologien, die Trends und die Möglichkeiten, die dann bestehen, berücksichtigen.

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