Impftourismus

Man liest gelegentlich über „Impftourismus“. Einige Länder bieten diese Möglichkeit ganz offiziell an oder tun dies zumindest zeitweise, z.B. San Marino oder Serbien. Andere bieten es „inoffiziell“ an, also mit Beziehungen bzw. mit Geld an einen „Reiseveranstalter“, der die Beziehungen mitbringt. Der Anreiz ist natürlich groß, weil Menschen einerseits Angst haben, krank zu werden, andererseits aber auch genug von den Restriktionen haben. Mit der Zeit wird sich für viele Länder die Frage stellen, was sie mit dem Impfstoffen machen, die übrig sind, wenn einmal die ganze Bevölkerung oder zumindest alle, die das wollen, geimpft sind.

Es kann ein Geschäftsmodell werden, den Tourismus wieder anzukurbeln, indem man normalen Touristen als „Bonus“ die Möglichkeit gibt, sich gratis oder gegen Geld impfen zu lassen. Gratis ist auch nicht so schlimm, weil es genug Geld mit dem zusätzlichen Tourismus ins Land bringt. Aber eigentlich ist es sinnvoll, dafür Geld zu nehmen. Ein Land kann auch seinen im Ausland lebenden Bürgern oder Menschen, die dem Land nahe stehen (z.B. Russlanddeutsche für Deutschland, auch wenn sie keinen deutschen Pass haben), anbieten. Das hat Serbien vielleicht so gemeint, weil die Anmeldung für die Impfung auf einer Webseite erfolgte, die nur auf Serbisch angeboten wurde. Oder die Impfung wird Menschen angeboten, die beruflich viel in dem Land zu tun haben, sei es als Grenzgänger, sei es, weil sie z.B. im Transportgewerbe arbeiten. Oder ein Land, das Gebiete besetzt hält, impft auch die eigenen Bürger, die in dem besetzten Gebiet wohnen, obwohl sie ja formell nicht in ihrem Land wohnen.

Oft wird „Impftourismus“ als verwerflich bezeichnet. Warum? Man hat sich sehr auf eine bestimmte Impfreihenfolge festgelegt und einige Menschen identifizieren sich ideologisch sehr mit dieser Impfreihenfolge. Ein Impftourist wird als jemand wahrgenommen, der sich in der langen Schlange vordrängelt. Aber wenn man diesen Vergleich etwas weiter denkt, dann tritt der Impftourist nur aus der Schlange heraus und lässt allen anderen, die nach ihm kommen, den Vortritt, weil er ja in seinem Land gar keinen Impfstoff verbraucht. Dann trägt er auch noch zur Bekämpfung der Pandemie bei, weil er ja danach nicht mehr oder zumindest in viel geringerem Maße als vorher zur Weiterverbreitung des Infektionsgeschehens beiträgt. Die zweimalige Reise zu dem „Offshore-Impfzentrum“ ist allerdings wahrscheinlich eine Flugreise. Also rein vom Umweltgedanken weniger wünschenswert. Und es ist auch mit der Gefahr verbunden, sich ausgerechnet auf dieser Reise anzustecken. Von daher relativiert sich der Vorteil vielleicht etwas, aber ich sehe es immer noch als vorteilhaft an.

Wegen der zwei Impfungen ist es für jemanden, der berufstätig ist und ein „normales“ Einkommen hat, sicher keine sehr einfache Möglichkeit, weil man selten so langen Urlaub am Stück hat und weil eine so langer Hotelaufenthalt oder die zweimalige Anreise ins Geld gehen. Aber einige Leute können das machen und tun es auch.

Vielleicht sollte man weniger an klassische Touristen denken. Es gibt Menschen, die ein sehr internationales Leben haben. Zum Beispiel:

  • Internationale Fernbeziehungen
  • Ex-Pats, die für die Arbeit immer mal kurz oder länger an verschiedenen Orten arbeiten. Vielleicht sind sie dort gemeldet, vielleicht in ihrem Heimatland
  • Ruheständler, die in ein kostengünstigers Land ziehen
  • Langzeitreisende, die eine mehrjährige Weltreise machen

Das sind oft Menschen, die sich für längere Zeit in einem Land aufhalten, wo sie aber nicht ihren Wohnsitz haben. Im Sinne der Bekämpfung der Pandemie ist es wünschenswert, diese auch zu impfen, zumindest wenn alle „Einheimischen“ geimpft sind. Dasselbe gilt auch für Touristen, die sich längere Zeit irgendwo aufhalten. Und alle diese Menschen können z.B. in einem Land wohnen, wo Impfungen schlecht verfügbar sind oder wo sie einfahc gerade mal nicht sind und sie nicht wegen der Impfung kurz mal nach Hause fliegen wollen.

Wenn in einigen europäischen Ländern einmal fast Leute geimpft sind, die das wollen, stellt sich die Frage des weiteren Vorgehens. Einige Länder werden die Impfstoffe verschenken, einige verkaufen und einige werden auch versuchen, damit den Tourismus anzukurbeln. Oder eben einfach ganz normal Leute impfen, die die Impfung wollen und dafür bezahlen.

Mit dem Verschenken an ärmere Länder ist es so eine Sache. Das ist sicher gut und richtig und es ist wünschenswert, dass alle Länder, die das wollen, genug Impfstoffe bekommen, um ihre Bevölkerung zu impfen, weil man die Pandemie nur wirklich weltweit stoppen kann. Das wird wahrscheinlich auch passieren. Was passiert aber, wenn ein Land genug Impfstoff bekommt, um 10% der Bevölkerung zu impfen? Die anderen 90% vielleicht irgendwann, ein paar Monate später?

  • Impfen sie die ältesten 10% der Bevölkerung? Die sterben dann trotzdem innerhalb der nächsten Zeit, an etwas anderem als Covid-19 und es ist für das Stoppen der Pandemie dort nicht viel erreicht. Auch wenn man es diesen Menschen natürlich gönnt.
  • Impfen sie die Menschen mit den meisten Kontakten wie Verkäufer, ÖV-Mitarbeiter, Lehrer und Personen, die im Gesundheitssystem arbeiten? Das würde zur Eindämmung der Pandemie und damit für die Menschheit insgesamt wahrscheinlich am meisten bringen.
  • Impfen sie die reichsten 10%
  • Impfen sie die Politiker, deren Familien und Freunde, die Polizei und die Armee?

Wahrscheinlich bringen diese geschenkten Impfungen erst wirklich viel, wenn es erheblich mehr als 10% sind. Aber das wird auch erreicht werden, einfach etwas später als in den Ländern, die dafür viel Geld gezahlt haben.

Was man tun sollte:
Wenn jetzt Impfausweise kommen, sollte man Impfungen im Ausland dort genauso eintragen wie Impfungen im heimischen Impfzentrum. Vielleicht mit etwas Vorsicht bei Ländern mit exzessiver Korruption, sonst gehen alle Impfgegner dort gegen Geld Impfausweise ohne Impfung besorgen…
Was man auch tun sollte, ist Menschen, die als Impftourist die erste Impfung bekommen haben, die zweite Impfung zuhause ermöglichen. Ich denke, dass das heute schon kein Problem mehr darstellen sollte.
Und es ist normal, dass z.B. Grippeimpfung jedem angeboten wird, der dafür bezahlt, solange sie nicht knapp ist. Auch der Zustand sollte sich bei Covid19-Impfungen einstellen. Es gibt Menschen, die sehr international leben und die dann in einem Land, wo sie nicht angemeldet sind, die Impfung bekommen wollen. Gerne gegen Geld und nicht gratis. Es gibt Impfgegner, die es sich anders überlegen. Und es gibt auch in Europa Länder, die mit ihrem Impfprogramm sehr langsam vorankommen. Für Menschen aus diesen Ländern ist es auch eine Chance, sich in einem Land impfen zu lassen, das genug Impfstoff bestellt hat.

Wird der Impftourismus ein Massenphänomen? Davon ist nicht auszugehen, schon gar nicht, solange man zwei Impfungen braucht. Aber es könnte ein Bonus sein für Menschen, die sowieso Urlaub machen und so einen ganz kleinen Beitrag dazu leisten, den Tourismus wieder anzukurbeln.

Ohnehin zeichnet es sich ab, dass man die Impfungen nach sechs bis zwölf Monaten auffrischen sollte. Und vielleicht dann für ein paar Jahre jährlich oder sogar halbjährlich. Von daher wird das Thema Covid-19-Impfungen uns noch eine Weile begleiten. Und die Firmen, die sich ein großes Stück aus dem Kuchen schneiden können, werden daran gut verdienen. Von den 200 Impfstoffprojekten werden wahrscheinlich nur eine Handvoll langfristig damit gute Geschäfte machen, was dann im guten Verhältnis zu dem eingegangen unternehmerischen Risiko steht.

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