Vorweg sei gesagt, dass es hier nicht darum geht, das Abhängen von Orten vom Bahnverkehr zu propagieren. Ich möchte aber dazu anregen, über rationale Kriterien darüber nachzudenken, welche Züge welche Bahnhöfe bedienen sollten.
Grundsätzlich hat man bei einem gut ausgebauten Streckennetz immer die Möglichkeit, dass man in gewissen Grenzen mit mehr Energieeinsatz kürzere Fahrzeiten erzielen kann oder mit Inkaufnahme von etwas längeren Fahrzeiten Energie sparen kann.
Das Beispiel ist ein Hochgeschwindigkeitszug, z.B. ein ICE. Es lässt sich aber sinngemäß auch für andere Zuggattungen, Distanzen und Geschwindigkeiten rechnen, mit Ergebnissen, die quantitativ ganz anders aussehen, aber qualitativ in dieselbe Richtung deuten.
Wenn man nach rationalen Kriterien Fahrpläne für den Hochgeschwindigkeitsverkehr gestaltet, könnte man sich von Überlegungen der Art leiten lassen, dass man eine Fahrzeit mit einem minimalen Stromverbrauch erzielen will oder eine minimale Fahrzeit mit einem vorgegebenen Stromverbrauch . Die Sache wird in der Wirklichkeit komplizierter, man will auch dichte Taktfolgen erzielen, obwohl lange Züge etwas weniger Strom pro Fahrgast verbrauchen als kurze Züge. Und man will Anschlüsse haben und die Streckenbelegung beachten. Aber hier kann man ja erst einmal mit einem vereinfachten Modell anfangen.
Wir haben als Beispielszenario eine Strecke von A nach C mit Zwischenhalt B, die für 280 km/h ausgebaut ist. B hat eine Umgehungsstrecke, die ohne Verminderung der Geschwindigkeit befahren werden kann. Sagen wir einmal A — C ist 100 km lang und A — B und B — C sind jeweils 50 km, B liegt also genau in der Mitte.
Sehen wir uns im Kursbuch die Fahrzeiten des ICE an, von Kassel nach Göttingen (ca. 44 km) und von Kassel nach Fulda (88 km). Für die 88 km nach Fulda werden ca. 30 min benötigt. Für die ca. 44 km nach Göttingen sind es ca. 19 min. Die ersten 44 km dauern also 19 min, die zweiten 44 km nur 11 min. Daraus kann
man schließen, dass der Halt mit Abbremsen und Beschleunigen etwa 8 min benötigt und auf der freien Strecke eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 240 km/h gefahren wird. Es sind nicht die erlaubten 280 km/h, weil man im Fahrplan gewisse Reserven für Verspätungen eingebaut hat.
Wenn man diese Daten auf unser hypothetisches Beispiel anwendet, braucht man bei den heute üblichen Geschwindigkeiten für die 100 km von A nach C ohne Halt in B
Mit Halt bei B sind es 8 Minuten mehr, also 41 min.
Dass man wegen der zusätzlichen Beschleunigung bei dem zusätzlichen Halt etwas mehr Strom verbrauchen würde als wenn man durchfährt, soll hier einmal vernachlässigt werden.
Nun kann man sagen, dass 8 min nicht viel sind, aber wenn man annimmt, dass der Zug einige 100 Fahrgäste hat und dass pro Tag viele Züge dort fahren, sind es aufaddiert durchaus pro Tag 2500 Stunden oder mehr. Hinzu kommt, dass es auf einer längeren Strecke mehrere Halte gibt, die man auslassen könnte oder nicht.
Der Wunsch nach einer Gesellschaft, in der es nicht so wie heute auf die Minute ankommt, ist sicher etwas, worüber man nachdenken kann und soll, aber wenn die Bahn Vorreiter dafür ist, ohne dass das gesellschaftlicher Konsens ist, führt das nur zu einer unnötigen Verlagerung von Verkehr von der Bahn weg auf andere
Verkehrsmittel.
Wenn wir aber ohne weiteres bereit sind, die zusätzlichen 8 Minuten zu spendieren, dann können wir so fahren, dass die Umgehungsstrecke benutzt wird und dass trotzdem 41 Minuten gebraucht werden. Das würde eine ganze Menge Strom sparen. Darüber müssten wir einmal zu einer Abschätzung kommen. Wie wir gesehen haben, brauchen Beschleunigung und Abbremsvorgang zusammen 8 Minuten zusätzlich, sagen wir einmal der Einfachheit halber 120 sec für den eigentlichen Halt, 180 sec für die Beschleunigung und 180 sec für das Bremsen. Immer zusätzlich zu dem, was man an Zeit sowieso benötigen würde, wenn man mit hohem Tempo auf freier Strecke fährt.
Aber man könnte die Bildchen ja selber malen. Gefragt ist ein s-t-Diagramm. Von links nach rechts werden die Sekunden gezählt, so von 0 bis 2500. Und von oben nach unten die Kilometer, so von 0 bis 100. Zur Zeit 0 fährt ein ICE bei A (Kilometer 0) los, der bei B hält. 8 min später fährt ein zweiter Zug los, der aber B auf der Umgehungsstrecke umfährt, so dass beide Züge genau gleichzeitig bei C ankommen. Dank mehrgleisiger Strecke und Gleiswechselbetrieb können die beiden Zügen gleichzeitig fahren. Vielleicht schaffe ich es auch irgendwann, ein SVG dazu zu malen oder eine Zeichnung von Hand zu machen und einzuscannen.
Der Beschleunigungsvorgang ist eigentlich nicht gleichförmig. Bei den hohen Geschwindigkeiten wird die Leistung zu einem größeren Teil für das eigentliche Fahren benötigt, so dass weniger Beschleunigung stattfindet. Auch ist die Leistungsfähigkeit der Elektromotoren nicht bei allen Geschwindigkeiten gleich und die Kraftübertragung beim Rad setzt auch Grenzen, sonst drehen die Räder durch. Der Einfachheit wird hier aber gleichförmige Beschleunigung angenommen, was sicher zulässig ist, weil der Unterschied im Stromverbrauch zwischen den beiden Möglichkeiten dadurch nur abgeschwächt wird. Geschwindigkeiten sollten jetzt in Meter pro Sekunde gerechnet werden, speziell sind 240 km/h . Zeiten sind Sekunden, Entfernungen Meter. Einheiten werden weggelassen. Der Ort, wo der in B haltende Zug den durchfahrenden Zug eingeholt hat und die Geschwindigkeit von erreicht hat, ist (in Metern) von B entfernt. Es gelten für den Streckenabschnitt von B nach C die Formeln:
Durchfahrender Zug: (1)
haltender Zug, ist die Beschleunigung: (2)
gleichförmige Beschleunigung: (3)
Also folgt aus (3): (4)
Aus (2) und (4) folgt: (5)
Aus (1) und (5) folgt: (6)
Aus (4) und (6) folgt: (7)
Aus (2) und (6) folgt: (8)
Man kann also einmal sagen, das ungefähr mit 0.185 m/sec² beschleunigt wird, dass dieser Beschleunigungsvorgang 12 km braucht und dass er sich über 6 Minuten hinzieht.
Mit diesen Werten kommen wir nun zu Abschätzungen für die Möglichkeit, mit 80 km/h durch den Bahnhof von B zu fahren, wenn es keine Umgehungsstrecke gibt. Sagen wir einmal, es wird von 240 auf 80 (22.2 m/sec) abgebremst und dann sofort wieder beschleunigt und betrachten wieder nur den Beschleunigungsvorgang. Der braucht 240 Sekunden. In diesen 240 Sekunden werden zurückgelegt, was mit 240 km/h nur 160 Sekunden brauchen würde. Man braucht also 80 Sekunden mehr, beim Bremsen entsprechend. Sagen wir drei Minuten, unter Berücksichtigung von einer gewissen Strecke, die tatsächlich langsam gefahren wird, bevor wieder beschleunigt wird.
Bei maximaler Geschwindigkeit kostet also ein Halt in B 8 Minuten, wenn es eine Umgehungsbahn gibt und 5 Minuten, wenn man sowieso durch den Bahnhof durchfahren muss.
Nun will ich einmal ausrechnen, wie schnell man fahren muss, um in 41 Minuten (2460 Sekunden) unter Benutzung der Umgehungsbahn von A nach C zu kommen. Die Zeit zum Beschleunigen ist t, die dabei zurückgelegte Strecke ist s. Die Beschleunigung a ist 0.185.
Mittlerer Teil wird mit voller Geschwindigkeit befahren: (1)
Geschwindigkeit nach Beschleunigungsvorgang: (2)
Weg nach Beschleunigungsvorgang: (3)
Einsetzen von (2) und (3) in (1) ergibt eine quadratische Gleichung: (4)
Oder umgeformt: (5)
Beschleunigung eingesetzt: (6)
Damit kann man ermitteln:
Und :
Und :
Weil der Energieverbrauch etwa mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zunimmt, hat man bei dieser Lösung die Fahrzeit von 41 Minuten mit einer um Faktor 2.2 geringeren Energieverbrauch für den Teil der Strecke, der mit Höchstgeschwindigkeit befahren wird. Weil der Beschleunigungsvorgang von diesen 88 Kilometern nur einen kleinen Teil der Strecke und der Zeit verbraucht und auch von Zügen bewältigt werden kann, die gar nicht die Leistung installiert haben, mit der man 280 km/h fahren kann, bleibt festzuhalten, dass der Halt in B den Energieverbrauch für die Fahrt von A nach C satt verdoppelt. Die Variante mit der Bahnhofsdurchfahrt in B liegt irgendwo dazwischen, ich spare mir jetzt die Rechnung.
Man könnte den Stromverbrauch für die Fahrt von A nach C ohne Fahrzeitverlängerung halbieren. Man könnte aber sogar noch etwas besseres machen oder doch etwas, was als besser bewertet wird. Man kann auf einen Teil der Stromersparnis verzichten und die Fahrzeit um bis zu 7 Minuten senken. Vor die Wahl gestellt, wird man diesen Weg wählen.
Für die Strecke Frankfurt Hamburg hat der ICE eine Fahrzeitverkürzung von einer knappen Stunde gebracht. Eine Vervollständigung der Neubaustrecken (Frankfurt — Umgehung Fulda, Umgehung Göttingen, Hannover — Hamburg) würde noch einmal eine knappe Stunde Fahrzeitverkürzung ermöglichen. Oder etwas weniger Fahrzeitverkürzung und gewaltige Stromeinsparungen.
Die Franzosen führen uns vor, wie man so etwas machen kann.
Für unseren konkreten Fall ist es sinnvoll und möglich, dass man in Bahnhöfen wie Göttingen oder Fulda regelmäßig genug hält, um mindestens stündliche schnelle Verbindungen nach Frankfurt, Würzburg, Kassel, Braunschweig und Hannover zu bieten, aber darüber hinaus auch mindestens stündlich mit Zügen fährt, die viel seltener halten, z.B. nur in Frankfurt, Kassel und Hannover.
Diese Überlegungen gelten natürlich für beliebige Bahnstrecken. Genauere Rechnungen sind da hoffentlich bei den Bahnen Routine und man weiß auch, wie man fahren muss, um eine bestimmte Fahrzeit mit minimalem Stromverbrauch zu bewältigen, was nicht ganz mit dem vereinfachten Ansatz übereinstimmt.