Ausstieg aus Kohle, Kernenergie und Gasenergie gleichzeitig

Man sollte sich ein paar Gedanken machen, was es bedeutet, aus einer Kategorie von Energieträgern auszusteigen.

Sagen wir, man hätte die folgende Frage zu beantworten. Es lassen sich zwei der drei folgenden Ziele erreichen, auf eines muss man verzichten:

  1. Ausstieg aus der Kernenergie
  2. Ausstieg aus der Kohle-, Gas- und Ölenergie (für Kraftwerke)
  3. Haltung des Lebensstandards

Angenommen, es gäbe eine Volksabstimmung, für was würden die Leute stimmen: Erheblichen Verzicht auf Lebensstandard, Verzicht auf Einhaltung von Klimaabkommen oder Verzicht auf den Kernenergieausstieg?

Man kann über einen Zeitraum von einigen Jahren die Kernkraftwerke abschalten, diese durch Kohle- und Gaskraftwerke (und etwas Windenergie) ersetzen und die Kosten von vielen Milliarden, die das verursacht, verstecken, indem man sie über viele Jahre verteilt Cent für Cent mit dem Strompreis bezahlt. Der Endverbraucher merkt das kaum, ist doch die Stromrechnung nur ein kleiner Posten. Dieser Weg wurde verfolgt und die Kohlekraftwerke wurden frühzeitig für dieses Szenario errichtet.

Man kann auch Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke durch Kernenergie ersetzen, wenn man nur genug Kernkraftwerke baut und sich die Zeit dafür gibt. Wegen ungleichmäßiger Nachfrage ist das Szenario nicht ideal, es ist vorteilhafter eine Mischung von verschiedenen Energieträgern zu haben, aber das lässt sich z.B. durch Stromhandel mit den Nachbarländern ausgleichen, die über viel Wasserkraft verfügen.

Man kann z.B. in Deutschland aus Kohle- und Gas- und Kernenergie (für Kraftwerke) gleichzeitig aussteigen. Und auch noch darauf verzichten, im großen Stil Strom von solchen Kraftwerken zu importieren. Dann gibt es einfach viel weniger Strom und die Knappheit müsste in irgendeiner Weise bewirtschaftet werden. Welche Industrien müssen geschlossen werden? Wie kommen Haushalt mit viel weniger Strom aus? Woher kommt Strom für elektrische Autos? Müsste man elektrische Bahnstrecken mit Diesel befahren, weil es zu wenig Strom gibt? Würden Haushalte sich Dieselgeneratoren auf den Balkon stellen, um noch die Waschmaschine behalten zu können? Oder gibt es einfach eine Senkung des Lebensstandards? Was passiert mit Ländern, die viel Wasserkraft haben? Sollen die aus Solidarität ihren Lebensstandard auch senken und den größten Teil ihres Stroms nach Deutschland exportieren? Wie kann man sie dazu bewegen? Oder wenn nicht, würde es nicht zu einer Massenauswanderung in Länder mit einer anderen Energiepolitik kommen? Oder in Länder mit Wasserkraft?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich befürworte natürlich den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe für Kraftwerke.

Aber anders als beim Kernenergieausstieg, für den es einen rein ökonomisch und technisch direkt verfügbaren Ersatz in Form von Kohlekraftwerken gab, ist das Szenario für den versprochenen Kohleausstieg ohne Gaskraftwerke als „temporären“ Ersatz nicht wirklich greifbar. Etwas mehr Sonnenenergie etwas mehr Wasserkraft, etwas mehr Windenergie und Biogas, das kann man alles schön qualitativ ausmalen. Dann „Wasserstoff statt Stromleitungen“… Es gibt viele Ideen, die mal so rein vom Anblick super klingen, sich schön in Hochglanzprospekten und Powerpoint-Präsentationen machen.

Aber man sollte auch mit Physikern, Chemikern, Mathematikern, Ingenieuren und Ökonomen sprechen. Wie sieht es quantitativ aus? Das heißt, dass man nicht nur die gesamte benötigte Energiemenge irgendwann erzeugt, sondern dass man sie zur Verfügung hat, wenn sie gebraucht wird. Der Fachbegriff dafür ist VRE oder auf Deutsch Fluktuierende erneuerbare Energien. Wie sieht es mit der Verteilung aus? Man kann leistungsfähigere Leitungen bauen, auch mit Gleichstrom für große Entfernungen und Verläufe unter Wasser oder Austausch zwischen nicht-synchronisierten Netzen. Es gibt gute Ideen. Man kann mit Elektrizität Wasserstoff erzeugen, diesen zur Energiespeicherung benutzen und später wieder verbrennen oder in Brennstoffzellen einsetzen. Wie ist der Wirkungsgrad von dieser Art der Energiespeicherung?

Wurde und wird uns bezüglich der obigen Punkte ein Märchen erzählt?

Hat der Kernenergieausstieg zum jetzigen Zeitpunkt zur Folge, dass man den Kohleausstieg bis 2038 (oder besser noch viel früher) nur schaffen kann, wenn man stattdessen in Gaskraftwerke investiert, Strom importiert oder eine massive Senkung des Lebensstandards anstrebt? Und ein Kohleausstieg 2038 ist eigentlich viel zu spät. Und die Kohle danach überwiegend durch Erdgas zu ersetzen, bringt viele Vorteile, ist aber in Bezug auf Klimaschutz nur ein kleiner Fortschritt. Und dieser wird noch kleiner, wenn man Frackinggas importiert, das zum Transport auch noch aufwändig zu LNG verflüssigt und dann wieder in Gasform gebracht werden muss. Während Pipelinegas (z.B. aus Northstream 1 & 2) eine bessere Klimabilanz als Kohle hat, trotz der Methanverluste, müsste man diese Frage für LNG und insbesondere für durch Fracking gewonnenes Erdgas noch einmal neu beleuchten. Der Vorteil gegenüber der Kohle wird dann noch einmal viel kleiner.

Klar ist bei den Parteien, die in der Bundesrepublik bzw. im wiedervereinigten Deutschland bisher Regierungen gestellt haben, der Anti-Kernenergie-Fanatismus ausgeprägt und man reibt sich die Hände, dass man mit Punkt 1 Fakten geschaffen hat, die sich nicht mehr oder nur noch teilwise oder mit großen Zeitaufwand rückgängig machen lassen. Aber dass dies einmal auf eine Alternative der anderen beiden Punkte hinauslaufen würde, wurde wohl bewusst verschwiegen. Die Atomausstiegslüge.

Was sollte man jetzt tun?

  • Die noch bestehenden Kernkraftwerke so lange wie möglich weiter betreiben.
  • Dem Ausbau von alternativen Energien hohe Priorität einräumen.
  • Leitungsnetze ausbauen.
  • Speicherkapazitäten ausbauen, z.B. in alten Braunkohletagebauen.
  • Northstream 2 fertigstellen, Kohle teilweise durch das am wenigsten klimaschädliche Erdgas aus Pipelines ersetzen.
  • Kohlekraftwerke so schnell wie möglich abschalten
  • Energie effizienter nutzen
  • Dynamisches Stromhandelssystem um Nachfragespitzen und Angebotsspitzen durch Preise und preissensible Elektrogeräte näher aneinander zu bringen
  • Internationale Zusammenarbeit von Ländern mit großen natürlichen erneuerbaren Energieresourcen, z.B. Wasserkraft oder Sonnen- und Windenergie in Wüsten
  • Erforschung von funktionierenden Technologien zur erneuerbaren Energiegewinnung und Speicherung zur Serienreife
  • Konsequenteres Recycling von seltenen Metallen
  • Verkehr mit weniger Autos, umweltfreundlicheren Autos, kürzeren Wegen, und vor allem mit mehr Fahrrädern und mehr öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen
  • Mehr Nachtzüge statt Flüge

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5 Kommentare

  1. Dazu kommt, dass ein weiterer Umstieg auf Erdgas die Abhängigkeit von Russland noch deutlich erhöht. Zumindest sollte man da die Speicherkapazitäten ausbauen und den Befüllungsgrad nicht dem Markt überlassen, denn der Markt sorgt selten für seltene, aber gravierende Ereignisse vor.
    Aber das Szenario geht über den bisherigen Stromverbrauch deutlich hinaus. Möchte man auch Treibstoffe sowie Heizstoffe durch Strom ersetzen, so steigert das den Stromverbrauch nochmals deutlich – selbst beim Einsatz hocheffizienter Wärmepumpen. Eine Verdoppelung des Stromverbrauchs dürfte da eher den unteren Rand der Prognosen darstellen.
    Daneben haben alle diese Szenarien erhebliche Umstellungskosten. So schnell mal eine Technologie bei Kraftwerken, Haushalten und Autos durch eine andere zu ersetzen, kostet viel Geld – insbesondere dort, wo Anlagen Lebensdauern von 30 Jahren und mehr haben. Jedes unnötige hin und her bedeutet dabei nicht „nur“ erhebliche volkswirtschaftliche Kosten, sondern auch konkrete Entschädigungszahlungen in hoher zweistelliger Milliardenhöhe an die EVUs, die AKWs und Kohlekraftwerke betreiben.

  2. Wenn man ohne echte Verkehrswende den Straßenverkehr von Benzinautos auf Elektroautos umstellt, die gleich schnell fahren, gleich groß sind und gleich viel benutzt werden, dann bringt allein das wohl etwa eine Verdopplung des Stromverbrauchs.
    Ich glaube, ohne eine echte Verkehrswende wird das ganze sowieso nicht aufgehen.
    Wir brauchen:
    Weniger Autos, vor allem weniger gefahrene Kilometer pro Jahr.
    Echtes Tempolimit, deutlich tiefer als 130.
    Langsamere, schwächere und kleinere Autos
    Verkehrsvermeidung
    Massive Verkehrsverlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel
    Und natürlich die verbleibenden Autos überwiegend elektrisch
    Flächendeckende Maut

    Das Thema Heizung ist noch interessant. Hier ergäbe sich auch noch ein großes Potential, Abwärme von Kraftwerken für Fernwärme zu nutzen. Interessant: Was die optimale Lösung ist, wird sich verschieben. Soll man heute massiv höhere Emissionen in Kauf nehmen und nur auf die Lösungen einer Zukunft setzen, die wir noch nicht genau kennen? Oder ist Fernwärme aus Abwärme nicht mindestens eine gute Brückentechnologie? Ich glaube, Fernwärmenetze werden auch bei 100% EE noch nützlich sein.

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