Eine Merkwürdigkeit aus der Schweiz sind „ortsübliche Kündigungstermine“ für Wohnungen. Man kann also normalweise Mietwohnungen in einigen Kantonen nur auf vier Termine im Jahr kündigen. Mich hat das zum Glück nie betroffen und das gilt auch nicht in allen Kantonen und für jede Wohnung. Aber es bleibt eine Absurdität mit vielen schwerwiegenden Nachteilen und kaum ernsthaften Vorteilen. Wir denken nur nicht darüber nach, weil wir es gewohnt sind und einfach nicht darauf gekommen sind, es zu hinterfragen. Ich will hier nicht darauf eingehen, wie absurd es ist, wenn die Umzugsunternehmen viermal im Jahr im Akkord arbeiten und sonst nur Grundlast bewältigen müssen oder wie das überhaupt funktionieren soll, denn damit habe ich zum Glück keine Erfahrung.
Aber die Regel, dass man Wohnungen nur auf das Monatsende kündigen kann, ist schon unsinnig und kostet rein volkswirtschaftlich auch viel. Sagen wir einmal, dass es 40’000’000 Haushalte in Deutschland gibt (Quelle). Sagen wir, diese ziehen alle zehn Jahre um, auch das ist etwa realistisch (Quelle).
Nun muss die Wohnung leer sein, gereinigt werden u.s.w. und wegen der Kündigung auf den Monatswechsel muss man auch bei hoher Nachfrage damit rechnen, dass die Wohnung etwa einen Monat leer steht. Das sind bei 4’000’000 Umzügen pro Jahr also im Durchschnitt 333’333 Wohnungen, die leer stehen, weil gerade umgezogen wird. Wenn wir mal von 500 EUR Monatsmiete ausgehen (Quelle) oder 6000 EUR Jahresmiete, jeweils kalt, sind das 2’000’000’000 EUR (zwei Milliarden!), die pro Jahr an Miete für solche technisch-umzugsbedingt leeren Wohnungen gezahlt werden, in diesem Fall von den Mietern. Das kann eine große Volkswirtschaft natürlich wegstecken, aber es ist doch eine Menge Geld und eine unnötige Verschwendung. Und es wären (auf Deutschland bezogen) ca. 165’000 zusätzliche Wohnungen im Markt, ohne eine einzige neu bauen zu müssen. Auf die Schweiz bezogen, sind die Zahlen natürlich anders, weil Umzugshäufigkeit, durchschnittliche Miethöhe, Einwohnerzahl und vor allem eben diese teilweise geltenden „ortsüblichen Kündigungstermine“ alle drei Monate statt wenigstens monatlich die Zahlen nochmal ändern.
Wenn man Wohnungen auf ein beliebiges Datum kündigen könnte, könnte dieser Zustand, in dem man alte und neue Wohnung gleichzeitig hat, erheblich verkürzt werden. Nun kann es passieren, dass man schon früher in die neue Wohnung kann, dass man einen Nachmieter findet, der früher in die alte Wohnung kann u.s.w. Aber ich denke, dass durch Kündigung auf ein beliebiges Datum sicher zwei Wochen Doppeltmiete pro Haushalt im Durchschnitt eingespart werden könnten, das wäre also eine Milliarde EUR pro Jahr, die man dadurch gewinnen könnte, dass man es Vermietern erschwert, Kündungsklauseln in Mietverträge zu schreiben, die nur auf Monatsende oder schlimmer noch auf „ortsübliche Kündigungstermine“ fixiert sind. Wir sind das zwar gewohnt, es ist aber Schwachsinn. Ich bin immer dafür, dass der Markt sich möglichst selber regelt. Gewisse Rahmenbedingungen kann man aber gesetzlich vorgeben und das sind wir auch gewohnt. Hier wäre es der Vorschlag, Vermieter von Wohnungen gesetzlich dazu zu verpflichten, Kündigungen auf ein beliebiges Datum zu akzeptieren. Die Miete für den angebrochenen Monat wird dann anteilig gezahlt, das kennt man schon von den Fällen, in denen es heute schon vorkommt, weil man etwa einen Nachmieter gefunden hat oder weil man zu einem krummen Datum in eine bereits leere Wohnung eingezogen ist. Feingranularer als auf Tage genau ist unsinnig, aber auf jeden beliebigen Tag ist sicher sinnvoll. Wer mag kann noch Feiertage und Wochenenden ausschließen, um Wohnungsübergaben am ersten Weihnachtsfeiertag zu vermeiden. Die Kündigungsfrist kann natürlich weiterhin lang sein, das ist eine andere, davon völlig unabhängige Frage. Drei Monate Kündigungsfrist bedeuten, dass man am 23. August eine Wohnung auf den 23. November kündigen kann.
Wir haben viele Dinge festgelegt, die wir so gewohnt sind und die bei genauerer Überprüfung überhaupt keinen Sinn ergeben. Während beliebige Termine für Kündigung von Mietverhältnissen wirklich für den Mieter, für die Wohnungsknappheit und für die Volkswirtschaft signifikante Vorteile bringen, kann man die Frage auch bei anderen Kündigungsterminen stellen. Warum müssen Arbeitsverträge immer auf einen Monatswechsel statt auf ein beliebiges Datum gekündigt werden (wieder mit der entsprechend unverändert langen Kündigungsfrist)? Auch hier könnte ein krummes Datum vorteilhafter sein.
Man kennt beide Modelle bei Jahres-, Wochen-, Monats- und Tageskarten für öffentliche Verkehrsmittel, Schwimmbäder, Museen u.s.w. Es gibt zum Teil die Karte, die ab sofort bis zum Ende des Tages, der Woche, des Monats oder des Jahres gilt, es gibt zum Teil auch die Karte, die ab sofort oder ab einem gewünschten Zeitpunkt 24 Stunden, 7 Tage, einen Monat oder ein Jahr lang gilt. Das zweite Modell ist viel nützlicher und letztlich sinnvoller für beide Seiten. Und doch sieht man das erste Modell noch oft. Ein krass absurdes Beispiel war ein Freibad, das man in Moskau am Ort einer abgerissenen Kirche gebaut hatte. Dort gab es eine Begrenzung des Aufenthaltes im Schwimmbad von ca. einer Stunde und das wurde so gelöst, dass zu jeder vollen Stunde alle draußen sein mussten. Wer kurz vor der vollen Stunde kam, musste warten, wer um halb kam, konnte nur kurz schwimmen und das Schwimmbad war 25-30% der Zeit leer und die Duschen und Umkleideräume ungleichmäßig ausgelastet. So stand es zumindest in der Zeitung, die zugegebenermaßen dem sowjetischen System nicht wohlwollend gegenüber stand. Aber es ist eine sehr milde Variante derselben hirnlosen Idee, die hinter den „Zügelterminen“ in Zürich steckt. Das Freibad ist inzwischen wieder der Kirche gewichen und was keiner für möglich gehalten hatte, ist passiert. Es kamen genug Spenden zusammen, um die Kirche wieder aufzubauen.
Es lohnt sich manchmal, Dinge, die wir nie hinterfragt habe, weil wir sie so gewohnt sind und uns nicht anders vorstellen können, doch zu hinterfragen. Und Gewohnheiten oder Regeln, die nur Nachteile und keine wirklichen Vorteile bringen, einfach abzuschaffen, sogar in manchen Fällen um den Preis einer neuen Regeln, die z.B. in Mietverträgen zwingend krumme Kündigungstermine erlaubt.